Millionen Deutsche bangen um ihren Job und müssen sich in Folge von Pandemie und Lockdown beruflich völlig neu orientieren. Bereits jetzt steigt die Anzahl der Notgründungen sprunghaft. Die Nachfrage nach bewährten Geschäftsideen vermag aber die darauf spezialisierte Franchise-Industrie nur bedingt befriedigen und verpasst womöglich eine Jahrhundert-Chance. Denn die Masse der Gründer versucht es immer noch auf eigne Faust, übernimmt bestenfalls ein etabliertes Geschäft oder dreht als Startup mit Blick auf die Börse am großen Investoren-Rad. Ob sich so Deutschland in ein Gründerland verwandelt, steht dahin, bleibt aber alternativlos.
Alice Schmidt ist seit dem Jahreswechsel 2019 / 2020 ihr eigener Chef. Statt weiter bei den Ford-Werken in Köln als Disponentin zu wirken, lebt sie ihren Traum von der Selbständigkeit. Bei der Suche nach einem Geschäftskonzept wurde die passionierte Teetrinkerin mit der Übernahme eines bereits eingeführten Fachgeschäftes in dem 45.000 Einwohner zählenden Städtchen Monheim am Rhein fündig. Anfang März 2020 wurde das neu drapierte Teehaus am Rathaus wieder geöffnet. Dann folgte der Lockdown und die Ladentür blieb für Wochen zugesperrt. Seit dem 20 April ist das Teehaus wieder geöffnet. Unter Beachtung des strikten Distanz-Kodex im Kundenkontakt spricht Jungunternehmerin Schmidt die Kundschaft mit ihrem Sortiment an: „Erlesene Teesorten, leckere Pralinen, Feinkost etwa Jordan Olivenöl und regionale Spezialitäten und schöne Accessoires rund ums Thema Tee. Auch der besondere Kaffee darf ebenso nicht fehlen wie nun auch erlesene Weinsorten. Ein kleines Schlaraffenland für Connaisseurs im Herzen der Stadt. Die kreative Geschäftsfrau suchte sie aber auch in der geschäftlichen Zwangspause ihre Chance. „Die Corona-Krise hat uns vor besondere Aufgaben gestellt, die uns auf neue Ideen gebracht haben. Der Lieferdienst mit einem extra für das Geschäft erworbenen Fahrrad hat sehr gut innerhalb Monheims funktioniert, sodass wir schöne Tees, Geschenksets oder Feinkost bis vor die Haustür unserer lieben Kunden liefern konnten.“
Millionen mit Geister-Restaurants
Während Alice Schmidt im klassischen Einzelhandel ihre Zukunft sieht, haben Sebastian Klein und Robin Steps aus dem Startup-Mekka Berlin mit Honest Food hochfliegende Pläne und scheffeln bereits Millionen mit Restaurants, die gar nicht existieren. Ihr Erfolgsgeheimnis: Das Startup beliefert sogenannte Ghost Restaurants. Hungrige Kunden können die Gerichte dieser Lokale auf Lieferplattformen wie Foodora und Lieferando bestellen. Zu Honest Food gehören Marken wie Blattgold, Baba Noni und Beste Freunde. In großen Produktionsküchen abseits der City werden die Gerichte unter optimierten Produktionsbedingungen vorbereitet und tiefgekühlt an Partnerrestaurants verschickt. Kommt bei einem der Gastro-Partner eine Bestellung für eine der Marken ein, tauen diese Saucen oder Fleisch auf und richten die Salate, Burritos und Burger mit frischen Zutaten an, um die Menüs anschließend auszuliefern.
Steps und Klein haben sich im Studium an der Uni Mannheim kennengelernt. Steps hat bereits diverse Food-Startups gegründet, darunter den Weinshop Vino24.de. Sein Mitgründer Klein hat zuvor für Alexander Samwer, einer der Lieferando-Mitgründer, dessen Photovoltaik-Startup Voltaro mit aufgebaut. Seit der Gründung von Honest Food im April 2017 haben die Unternehmer einen mittleren siebenstelligen Betrag von der Beteiligungsgesellschaft Good Brands und dem Vapiano-Gründer Gregor Gerlach aufgenommen. Zwei Jahre weiter: Der Berliner Lieferdienstvermittler Delivery Hero, der gerade erst den koreanischen Wettbewerber Woowa übernommen hat, kauft nun den Berliner Ghost Restaurant-Betreiber Honest Food. In der damit fälligen Ad-Hoc-Mitteilung heißt es. „Die Good Brands AG veräußert ihre Beteiligung an der Honest Food Company GmbH. Der Verkauf erfolgt im Rahmen einer vollständigen Übernahme aller Geschäftsanteile durch die Delivery Hero SE. Die Unterzeichnung der Kaufverträge erfolgte am 20. Dezember 2019.“ Noch im Sommer dieses Jahres investierten Index Ventures und der schwedische Kapitalgeber Creandum einen Millionenbetrag in den Ghost Restaurant-Betreiber.
Zwei Erfolgsgeschichten aus dem Kosmos der Gründer in Deutschland kurz vor der Corona-Krise Eine reibungslos vollzogene Übernahme eines etablierten Einzelhandelsgeschäftes im Zuge der Nachfolge und ein mit viel Profit-Fantasie ins Rennen um die Gunst von Anlegern und Kunden gelangtes Startup aus Berlin belegen den im Gründer-Kosmos angesagten Spagat. Der Trend ist ungebrochen. Seit Beginn der Corona-Pandemie wurden 300 Tech-Unternehmen in Deutschland gegründet – mehr als im Vorjahreszeitraum. Im Jahr 2018 gab es 70.000 Start-ups und damit rund 10.000 mehr als im Jahr zuvor. Zum Vergleich der Deutsche Franchise-Verband e.V. (DFV) ermittelte, dass im Jahr 2019 in Deutschland etwa 133.424 (+4,2 Prozent) Franchisenehmer in 960 Franchise-Systemen selbständig sind.
Die Startup-Szene liegt im Fokus der Großinvestoren und ihrer Berater in den Family-Offices der bekannten Milliardärs Familien wie die den Quandts, Reimanns, Albrechts, aber auch bei Maschmeyer, Toeller oder Breuninger. Das Fashion- und Lifestyle-Unternehmen Breuninger wurde 1881 von Eduard Breuninger gegründet und zählt heute zu den führenden Multichannel-Department-Stores in Europa. Jüngst hat das Traditionsunternehmen aus Stuttgart in einen Startup investiert, das sich auf automatisierte Bildverarbeitungsprozesse im Modesegment spezialisiert hat: autoRetouch. Hinfort unterstützt Breuninger das Gründerteam des Startups bei der Weiterentwicklung und Verbreitung einer effizienten Technologiesoftware mit globaler Relevanz für den E-Commerce. „Mit der Entscheidung, autoRetouch als eigenständiges Unternehmen auszugründen und uns wirtschaftlich an einem Technologie-Startup zu beteiligen, entwickeln wir Breuninger als Unternehmen weiter und erschließen neue Themenfelder “, so Breuninger CEO Holger Blecker.
Angst vor dem Sprung ins Wasser
In den guten Zeiten der Vollbeschäftigung bis zur Corona-Krise zählten Existenzgründer abseits der High-Tech-Szene wie bei Breuninger eher zu den Exoten. Die auf ihre Work-Life-Balance fixierte Generation Y – im englischen Sprachgebrauch „why“ – scheute den Sprung ins kalte Wasser einer Selbständigkeit. Mehr noch: der Anteil an Gründern in Deutschland schmolz dahin wie Eis in der Mittagssonne. Die Fakten: Von 2001 bis 2018 sank die Anzahl der Gründer in Deutschland kontinuierlich. Im Jahr nach dem Millennium wagten es noch 1.538.000 Millionen Gründer. Zehn Jahre später (2011) hatte sich die Gründerszene nahezu halbiert: 835.000 Erstgründer. Im Jahr 2018 waren es mit 547.000 Gründern nur noch ein Drittel des Langzeit-Hochs von 2001 mit rund anderthalb Millionen Existenzgründern im Lande. Die Ursachen des dramatischen Rückgangs an Gründungswilligen, aber auch – fähigen jungen deutschen spürte der „Gründerreport 2018“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) auf. Danach sind Unausgereifte Geschäftsideen mit schwammigen Vorstellungen über die künftige Kundengruppe, unausgereifte Produkte und überhöhte Umsatzerwartungen häufig die Ursachen, dass Unternehmensgründungen nicht wie geplant zustande kommen oder die entsprechenden Firmen in der Frühphase scheitern.
Notgründungen liegen im Trend
Eine Wende im Gründergeschehen dokumentiert indes der aktuelle KfW-Gründungsmonitor 2020. Im Schatten der Pandemie registriert die mit der Finanzierung von Existenzgründern betraute Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erstmals seit fünf Jahren einen Anstieg der Gründungstätigkeit in Deutschland 2019.Die Zahl der Existenzgründungen ist auf 605.000 gestiegen (+58.000). Maßgeblich dafür war ein deutliches Plus bei den Nebenerwerbsgründungen, bei den Vollerwerbsgründungen ging es dagegen abwärts auf einen neuen Tiefpunkt. Dabei konnte die Zahl der Chancengründungen auf 439.000 überproportional zulegen. Auch internetbasierte und digitale Gründungen gab es deutlich mehr. Der Ausblick für die Gründungstätigkeit 2020 war positiv – die Corona-Pandemie verändert aber einiges. Viele Gründungspläne, von denen es erneut mehr gab, dürften nun verschoben werden. Allerdings sind krisenbedingt jedoch deutlich mehr Notgründungen zu erwarten.
Schwarzer Freitag reloaded
Mit der Pandemie wird spätestens zur Jahreswende die globale Wirtschaftskrise spürbar, die den Schwarzen Freitag an der New Yorker Börse (NYSE) vom 25. Oktober 1929 als Auslöser der Weltwirtschaftskrise in den Schatten stellen könnte. Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), schenkte anlässlich seiner monatlichen Pressekonferenz Anfang Juli wenn auch klausuliert reinen Wein ein, was letztlich droht:„Die Arbeitslosenzahl ist von Mai auf Juni infolge der Corona-Krise deutlich gestiegen, wenn auch erneut schwächer als im Vormonat. Mit 2.853.000 liegt sie 40.000 höher als im Vormonat. Saisonbereinigt entspricht das einem Zuwachs um 69.000. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Arbeitslosenzahl um 637.000 erhöht. Die Arbeitslosenquote steigt um 0,1 Prozentpunkte auf 6,2 Prozent und verzeichnet im Vergleich zum Juni des vorigen Jahres ein Plus von 1,3 Prozentpunkten.“
Die versteckte Arbeitslosigkeit trägt den Namen Kurzarbeit, die nach den Hiobsbotschaften aus vielen Konzernen – vom Mittelstand ganz zu schweigen – nahtlos im Jobverlust endet, wenn die Entlass-Ankündigungen von Karstadt bis zur Lufthansa auch alle zum Jahresende umgesetzt werden. Laut Scheele wurde vom 1. bis einschließlich 25. Juni für 342.000 Personen konjunkturelle Kurzarbeit angezeigt, nach 1,14 Millionen im Mai und zusammen: 10,66 Millionen im März und April. „Die Inanspruchnahme von Kurzarbeit lag damit weit über den Werten zur Zeit der Großen Rezession 2008/2009“, so Scheele.
Comeback der ICH-AG
Mit Auslauf der Kurzarbeit und Umsetzung der möglichst sozialverträglichen Entlass-Wellen im Handel, Tourismus und Automobil-Branche dürfte die Arbeitslosenquote auf 15 Prozent hochschnellen Dann stünde ein Millionenheer bestens ausgebildeter Angestellter, dank eigener Rücklagen und Vermögen sowie einer satten Abfindung finanziell für den Moment abgesichert, letztlich aber doch auf der Straße. Was nun? Job suchen oder selbst gründen, so heißt die Alternative.
Notgründungen zählen dann zur neuen Normalität. Denn die vom „Shakeout“ nach dem „Lockout“ gebeutelten Branchen werden gemessen an den Jobs weiter schrumpfen und bieten ihren bisherigen Mitarbeitern keine Chance. Die Masse der Entlassenen muss sich völlig neu orientieren. Jetzt gilt es die Ärmel hochkrempeln und sich aus der Wohlfühlt-Oase den großen Konzernen endgültig zu verabschieden und einen Neuanfang im Kleingewerbe und in der Solo-Selbständigkeit zu suchen. Nach dem Brüssler EU-Marathon zur Krisenbewältigung der von der Pandemie gebeutelten Mitgliedsstaaten, stellt sich auf nationaler Ebene schon für Wirtschaftsminister Peter Altmaier und seinem für Arbeit und Soziales zuständigen Ministerkollegen Hubertus Heil alsbald die nächste Herkulesaufgabe. Wie soll mit dem sich ankündigenden Heer an Arbeitslosen umgegangen werden?
Die beiden Bundesminister könnten auf ein Comeback der ICH AG setzen, Relikt aus der einst von Bundeskanzler Gerhard Schröder ins Leben „Hartz – Kommission“. Zwischen 2003 und 2006 half das Förderprogramm rund 400.000 Existenzgründern über die ersten Hürden. Denn die Gründung eines eigenen Unternehmens ist vor allem für Arbeitslosengeldempfänger oft mit vielen Hürden verbunden. Daher unterstützt die Bundesagentur für Arbeit mit verschiedenen Förderprogrammen Arbeitslose auf dem Weg in die Selbständigkeit. Die Förderung wurde nur bei einem Gewinn bis max. 25.000 Euro pro Jahr gewährt. Wurde diese Einkommensgrenze überschritten so entfiel eine zukünftige Förderung. Bereits gewährte Förderungen mussten nicht zurückgezahlt werden. Seit 2006 gibt es nur noch Geld vom Staat, wenn der Gründer tatsächlich arbeitslos ist, noch einen Restanspruch von 150 Tagen Arbeitslosengeld hat und ein geprüftes und hinreichend erfolgversprechendes Unternehmenskonzept vorweisen kann. An einer aussichtsreichen Gründungsidee herrscht aber durchweg Mangel.
Nachtschichten für Franchise-Manager
Dennoch müssen sich mindestens 10 Millionen Deutsche beruflich völlig neu orientieren und einen soliden Businessplan entwerfen, die die Banker letztlich überzeugt und dann erst den Hahn öffnet für die staatlichen Fördermittel. Die Zahl der jetzt schon einsetzenden Notgründungen dürfte ab Herbst förmlich explodieren Die von cleveren Existenzgründungsberatern ohne Franchise-Kenntnis derzeit schon als Strohhalm angepriesene Zahl von 1.000 Franchise-Geschäftsidee dürfte sich bei einem harten Faktencheck als Fata Morgana erweisen – allenfalls 400 Franchise-Systeme sind zukunftsfähig und dazu expansiv. Das Geschäft mit den Geschäftsideen dürfte wie schon zu den hohen Zeiten des Multi-Level-Franchisings unseriöse Marktakteure in den 80ziger Jahren des letzten Jahrhunderts anlocken.
Für den weitaus größeren seriösen Teil der Franchisewirtschaft heißt es somit, die Spreu vom Weizen unter den Franchise-Aspiranten schnell und zielsicher zu trennen, und zu klären ob die Interessenten wirklich das Zeug zu einem haben, der das Rad nach vorn drehen und nicht erst neu erfinden will. Bei der anstehenden Besetzung der verbliebenen weißen Flecken auf der Vertriebs-Landkarte oder die Neubesetzung freiwerdender Standorte von Franchisenehmern, denen nur bis Oktober eine Gnadenfrist verbleibt, um ihre Insolvenz beim Amtsgericht anzumelden, müssten Franchise-Manager deshalb wohl Nachschichten einlegen. Denn mangels solider Geschäftsideen wird ein Run auf Franchising einsetzen, um die Notgründung zu optimieren. Die Leads werden also sprunghaft steigen und die Qualifizierung der Kandidaten wird die personellen Ressourcen in den revitalisierten Franchise-Zentralen vielfach überfordern. Dann gilt es, ob sich die bittere Erfahrung der IHK´s und Gründerzentren mit ihren tausendfach im Sande verlaufenden Kontaktgesprächen wiederholt. Die Franchise-Wirtschaft würde damit allerdings den jetzt möglichen großen Sprung nach vorn verpassen. Feststeht: Die nächste Jahrhundert-Chance für einen nationalen Franchise-Boom wird so schnell hoffentlich nicht wiederkommen.